Gleichnis vom verlorenen Sohn

Nach Lukas – Kapitel 15 (Gleichnis vom verlorenen Sohn)

Interpretation von René Math

 

Ein Mann und eine Frau stammten aus guten, katholischen Familien. Sie haben beide studiert und gute Abschlüsse erzielt und dann haben sie geheiratet. Die Eltern von Beiden haben sie während des Studiums viele Jahre lang finanziell unterstützt, obwohl es manchmal finanziell eng war. Beide haben gute Jobs bekommen und konnten Karriere machen. Sie hatten dann aber immer weniger Zeit für sich und für ihre Ehe. Nicht selten arbeiteten sie bis an die Grenzen der eigenen Kräfte. Sie haben aber sehr gut verdient und konnten sich ein modernes, großzügiges Haus kaufen. Ihren Urlaub verbrachten sie an den attraktivsten Orten in der Welt und zum Shoppen sind sie manchmal nach Paris geflogen. Sie hatten ihre Familien kaum noch gesehen, manchmal nur an Weihnachten oder bei Familienfesten. Als eine Wirtschaftskrise ausbrach, beschlossen sie Familie zu gründen und bekamen ein Kind. Als die Firma der Frau wieder Leute gesucht hat, unterbrach sie ihre Erziehungszeit und stieg wieder in ihren Beruf ein. Das Kind war in der Krippe und dann in der Ganztagesschule. Aber sie konnten sich auch eine Haushaltshilfe leisten, die sich auch um das Kind kümmerte, wenn sie keine Zeit hatten oder ausgegangen sind. Sie schickten das Kind auch zur Erstkommunion und später zur Firmung, weil das ja auch in ihrer Kindheit so war. Sie wollten, dass auch ihr Kind so ein Familienfest erlebt und zahlten ja noch Kirchensteuern. In der Zwischenzeit übernahm er Jobs im Ausland und war noch seltener zu Hause. Irgendwann fingen die Beiden an sich gegenseitig Untreue vorzuwerfen. Ihre Ehe und ihr Eheleben stürzte in eine tiefe Krise. Ein Konflikt löste einen anderen Streit ab. Der Unfrieden nahm immer mehr zu. Es spitze sich so zu, dass er auch dann schon einige Male, gesundheitlich und psychisch angeschlagen, arbeitsunfähig wurde. Dann wurde auch noch der Betrieb, in dem er arbeitete, von einem großen ausländischen Konzern übernommen und es sollten viele Mitarbeiter abgebaut werden. Sie hatten Angst bekommen, wie es weiter gehen soll. Sie sehnten sich nach einem Daheim.

 

Aber als sie einmal in einem guten Gesprächsklima waren, besinnten sie sich und tauschten sich über die Zeit ihrer Jugend, ihres Kennenlernens und Verliebtseins, über ihre Hochzeit und ihr Eheversprechen aus. Und sie erinnerten sich daran, wie die Eltern und Großeltern in ihren Herkunftsfamilien miteinander umgegangen sind, wie sie aus dem Glauben Kraft für ihre Ehe und den Alltag geschöpft haben und wie sie ihr Leben mit Gott gestaltet haben. Wie sie beteten, sich bei Schwierigkeiten an Gott und die Gottesmutter wandten, wie sie regelmäßig in die Kirche gingen und gute Beziehungen innerhalb der Familie und in der Dorfgemeinschaft hatten. Als Kinder sind sie auch an den Sonntagen meist mit in die Kirche gegangen. Sie erinnerten sich, dass das Leben manchmal materiell ärmlich war, aber die Lebensfreude und die Zufriedenheit waren immer da. Sie erinnerten sich an die schöne Atmosphäre, die besonders an den Sonntagen daheim herrschte. Sie spürten auf einmal, wie hungrig sie nach dem echten Leben, nach Liebe, nach einem liebevollen Miteinander waren. Und sie erkannten, dass kein Geld und noch so teure Urlaubsreisen oder Wohnungseinrichtung sie bisher satt und zufrieden machen konnten. Und sie überlegten, ob vielleicht das der Grund für die Krise in ihrer Ehe und in ihrem Leben war. Daraufhin haben sie beschlossen, wieder Gott mehr Raum in ihrem Leben zu geben und an das anzuknöpfen, was ihnen in Erinnerung als ein guter und gelingender Lebensweg aus den Herkunftsfamilien präsent war. Sie beschlossen sich auf den Weg zu Gott zu machen.

 

Sie wußten aber nicht mehr, wie sie den Weg dahin finden sollten, weil das Leben mit Gott ihnen fremd geworden ist. Sie beschlossen am nächsten Sonntag in die Kirche zu gehen, obwohl es ihnen nicht leicht fiel. Sie hatten aber die Hoffnung, dass sie dort vielleicht ein Wort hören, damit ihre Ehe wieder heil wird oder nur ein Wort hören, das ihnen wegweisend sein könnte. Sie haben schon viele Jahre nicht mehr am religiösen Leben teilgenommen und waren der Gemeinde, Kirche und Gott abgewandt. Sie glaubten, dass sie nicht mehr richtige Kinder Gottes sind, hofften aber, dass sie in seiner Nähe, in der Kirche ein wenig von dem erspüren, wonach sie sich innig sehnten.

 

Als sie am nächsten Sonntag in die Kirche ankamen, fühlten sie sich fremd an diesem Ort, nahmen aber hörend an der Eucharistiefeier teil. Erinnerungen aus den Kindertagen und damaligen Kirchenbesuchen kamen wieder hoch. Der Priester erzählte in seiner Predigt eine Geschichte: „In einem kleinen Fischerdorf lebten ein Fischer und seine Frau. Es war nicht zu umgehen, dass der Fischer bisweilen wochenlang auf dem Meer sein mußte. Da wurde ihm während dieser Zeit seine Frau untreu. Nun kehrte der Mann zurück. Nach dem alten und nie gebrochenen Gesetz dieses Dorfes musste die Ehebrecherin vom Felsen in das Meer gestürzt werden. Früh morgens wurde die Frau auf die Klippe geführt. Jetzt wartete man nur noch auf das Eintreffen des Mannes. Der aber, gestern erst angekommen, erschien nicht zum Gericht. So warteten sie lange, bis das Dorf schließlich ohne ihn das Urteil vollstreckte. Die Frau wurde von der Klippe hinunter gestoßen – und fiel in das Netz ihres Mannes, der die Nacht dazu benutzt hatte, Fischernetze aufzuspannen, um seine Frau zu retten, die er sehr liebte. Während andere den Stab über sie brachen, spannte er seine Netze.“ Dann fuhr der Priester mit seiner Predigt fort und erzählte liebevoll vom Ehesakrament und vom Leben und Gegenwärtigkeit Gottes im Ehebund.

 

Beiden waren innerlich sehr berührt von dieser Geschichte und den Worten des Priesters, so dass ihnen sogar Tränen aus den Augen auf die Wangen rollten. Der Priester dieser Gemeinde bemerkte schon zu Beginn der Eucharistiefeier die Anwesenheit dieses Ehepaares. Und er bemerkte, dass sie sich unsicher, belastet und besorgt, händchen-haltend in die hinterste Reihe gesetzt haben. Und weil sie nicht zum Kommunionempfang gekommen sind, ging er von sich aus auf die Beiden bis zu der hintersten Reihe zu und reichte ihnen die Hostien mit den Worten: „Leib Christi - das Brot des Lebens“ und ging dann wieder zum Altarraum zurück. Beide spürten nach der Eucharistiefeier, wie sie auflebten und mit welcher Liebe sie beschenkt wurden. Sie spürten ihre Herzen, wie sie mit Leben gefüllt wurden und gingen voll Freude wieder nach Hause. Das, was sie erlebten, übertraf alles, was sie sich vorgestellt haben. Sie fühlten, wie Gott sie wieder in seine Arme nahm. Nach der Eucharistiefeier sind sie auf den Priester zugegangen und haben sich bei ihm bedankt und ihm erzählt, wie wichtig das für sie gewesen ist.

 

Ein Mann, der auch in der Kirche war, meinte, dass er Schmerzen in den Beinen hätte und der Priester wäre noch nie zu ihm in die Bank gekommen und hätte ihm die Hostie gegeben, obwohl er jeden Sonntag in die Kirche gehe. Eine Frau aus der Gemeinde meinte noch, ob die Beiden überhaupt vorher zur Beichte waren, denn dass wäre eigentlich nicht richtig nach den Kirchengeboten. Ein anderes Gemeindemitglied rügte sogar, dass der Pfarrer für die Beiden so eine Extra-Behandlung machte und fragte, ob sie überhaupt katholisch wären. Und als der Priester die Gemeinde vor der Kirche versammelt sah, lud er sie zur Mitfreude mit jedem einzelnen Menschen ein, der die Spuren Gottes in seinem Leben und die Liebe wieder entdeckt. Er erinnerte sie daran, wie der gute Hirte das verlorene Schaf suchte und es fand. Ihr solltet aber fröhlich und gutes Muts sein – sagte er, denn dieser euer Bruder und diese eure Schwester waren tot und sind wieder lebendig geworden; er und sie waren verloren und sind wieder gefunden.